
Landtagswahl 2022"Die Stärkung des Handwerks muss zentral sein."
Am 9. Oktober wählt Niedersachsen eine neue Landesregierung. Was das Handwerk von der zukünftigen Regierung erwartet, erklärt Detlef Bade, Präsident der Handwerkskammer und stellvertretender Vorsitzender der Landesvereinigung der Handwerkskammern Niedersachsens, im Interview.
Herr Bade, den Umfragen zufolge gibt es in Niedersachsen noch keinen klaren Trend für die Zusammensetzung des neuen Landtags – was wäre Ihre Wunschregierung?
Detlef Bade: Meine Wunschregierung ist diejenige, die die Interessen des Handwerks am besten berücksichtigt. Wir haben unsere Positionen landesweit mit der Arbeitnehmervertretung abgestimmt und in einem gemeinsamen Papier veröffentlicht. Diese Positionen sind für uns maßgebend und sie sind an alle Parteien adressiert. Alles andere ist dann Verhandlungssache mit der zukünftigen Landesregierung.
Welche Position steht denn Ihrer Ansicht nach in Niedersachsen im Mittelpunkt?
Detlef Bade: Es gibt im Moment sowohl in Niedersachsen als auch bundesweit nicht das eine große Problem, das im Mittelpunkt steht. Auch in Niedersachsen leidet das Handwerk unter der aktuellen politischen und wirtschaftlichen Lage mit dem Ukraine-Krieg und seinen Folgen, den Auswirkungen der Corona-Pandemie und der Inflation. Steigende Energiepreise gepaart mit Material- und Lieferengpässen sind aber globale Probleme, auf die das Land Niedersachsen nur wenig Einfluss hat. Für uns im Handwerk gibt es aber neben der Energie- und Mobilitätswende tatsächlich ein weiteres drängendes Thema, und das ist die so genannte Bildungswende.
Was meinen Sie mit Bildungswende?
Detlef Bade: Wir brauchen eine Bildungswende, die sich in mehr Wertschätzung für die berufliche Bildung äußert, und zwar sowohl in materieller als auch in ideeller Hinsicht.
Mit Blick auf Niedersachsen – was bedeutet das konkret für die zukünftige Regierung?
Detlef Bade: Ich fange mal mit dem Ideellen an: Wenn Sie Eltern oder Lehrer fragen, wie sie die Bedeutung des Handwerks in unserer Gesellschaft einschätzen, dann werden Sie meist die Antwort bekommen, dass das Handwerk sehr wichtig ist. Diese Einschätzung hört aber auf, sobald es um das eigene Kind oder die eigenen Schüler geht. Hier muss ein Umdenken stattfinden, dass durch Maßnahmen der Landespolitik unterstützt werden sollte.
Was wären das für Maßnahmen?
Detlef Bade: Das wären vor allem Maßnahmen im Bereich der Berufsorientierung. Der große Bedarf an Fachkräften macht Berufsorientierung in allen Schulformen, insbesondere an Gymnasien, notwendiger denn je. Alle Schulen sollten früh und vor allem vorurteilsfrei über die beruflichen Möglichkeiten im Handwerk informieren. Hilfreich wäre daher die Einführung eines Ankerfachs „Berufsorientierung“ ab Klasse 7 in allen Schulformen. Dazu müsste natürlich auch das Fach „Berufsorientierung“ in die Lehrerausbildung aufgenommen werden.
Und in materieller, also finanzieller Hinsicht?
Detlef Bade: Die ausbildenden Betriebe und wir in unseren Bildungszentren sichern die Qualifikation der zukünftigen Handwerkerinnen und Handwerker. Gerade im Rahmen der Überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung (ÜLU) dürfen die Betriebe daher nicht zusätzlich belastet werden. Vorgesehen ist eigentlich eine Drittelung der Kosten zwischen Land, Bund und den Ausbildungsbetrieben. In der Realität tragen die Betriebe aber mehr als die Hälfte der tatsächlichen Kosten. Hier müssen wir zu einer echten Drittelfinanzierung kommen, bei der neben dem Handwerk selbst auch Bund und Land jeweils ihren Beitrag leisten. Für alle verbindlichen Kurse muss gelten, dass der Betrieb nur ein Drittel der Kosten tragen muss. Dazu benötigen wir die Unterstützung des Landes und eine verlässliche Förderung der ÜLU, die sich an den tatsächlichen Kosten orientiert.
Das heißt, eine stärkere finanzielle Förderung der beruflichen Bildung ist eine wesentliche Forderung an die neue Regierung?
Detlef Bade: Genau, und zwar sowohl für die ÜLU als auch für unsere Bildungszentren. Unsere Bildungszentren sind dank der Förderung von Bund und Land technisch auf dem neuesten Stand. Aber damit das so bleibt, darf die Politik die Ausstattung der Bildungszentren nicht aus dem Blick verlieren. Moderne und mit neuester Technik ausgestattete Werkstätten und Unterrichtsräume sind unerlässlich, damit die Qualität der Ausbildung nicht leidet. Dabei sind wir auch zukünftig auf finanzielle Förderung angewiesen.
Zur finanziellen Förderung zählt ja auch die Einführung des Azubitickets in Niedersachsen. Wie zufrieden sind Sie denn mit der Umsetzung?
Detlef Bade: Da sehen wir noch Verbesserungsbedarf. Bislang ist das Ticket auf die jeweiligen Verkehrsverbünde begrenzt. Besser wäre ein preiswertes landesweit gültiges Azubiticket, mit dem Auszubildende ihren Ausbildungsbetrieb, ihre Berufsschule und ihre überbetriebliche Bildungsstätte erreichen können. Noch besser wäre es, wenn dieses Ticket nicht an den Landesgrenzen enden würde. Wenn man bedenkt, wie schnell die Einführung eines bundesweiten 9-Euro-Tickets möglich war, dann sollte das beim Azubiticket doch wohl auch machbar sein.
Aktuell steht auch in Niedersachsen die Grundsteuerreform an. Was bedeutet das für die Handwerksbetriebe?
Detlef Bade: Hier brauchen wir landesweit Transparenz und ein Monitoring für jede Kommune: Wie ist das Aufkommen vor der Reform, wie verteilt es sich auf private und gewerbliche Grundstücke? Wie sieht die Belastung dann tatsächlich nach dem neuen Grundsteuermodell aus? Das werden wir sehr genau beobachten und erwarten vom Land, das ebenfalls zu tun. Die Grundsteuerreform darf auf kommunaler Ebene nicht zu Mehrbelastungen für unsere Betriebe führen.
Hat denn wenigstens der Wegfall der EEG-Umlage zum 1. Juli zu einer spürbaren Entlastung der Betriebe geführt?
Detlef Bade: Die Streichung der EEG-Umlage war eine wichtige Maßnahme. Angesichts der aktuellen Situation mit steigenden Energiepreisen und den Problemen rund um die Gasversorgung ist das aber nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Das heißt, auch alle anderen Steuern und Abgaben sind auf den Prüfstand zu stellen. Das gilt besonders für die Energiesteuern. Diese müssen auf die europäischen Mindestsätze abgesenkt werden. Die Sicherung der Energieversorgung für Betriebe und Beschäftigte ist das eine, die Energiepreise müssen aber auch bezahlbar bleiben.
Das liegt aber vermutlich nicht allein in der Hand der niedersächsischen Landesregierung…
Detlef Bade: Das ist richtig, aber die Landesregierung wird ja an solchen Entscheidungsprozessen beteiligt und kann auf sie Einfluss nehmen und dabei die Interessen des Handwerks im Kopf haben. Das gilt auch für EU-Beschlüsse. Deshalb haben wir gemeinsam mit dem niedersächsischen Europaministerium eine Monitoring-Runde initiiert, eine Art Frühwarnsystem, um bei neuen EU-Initiativen die Belange der kleinen und mittleren Betriebe rechtzeitig einzubringen. Es gibt also durchaus Möglichkeiten der Einflussnahme durch die Landesregierung, die über Niedersachsen hinausreichen.
Wie lautet Ihr persönlicher Appell an die zukünftige Landesregierung?
Detlef Bade: Mittlerweile dürfte jedem klar geworden sein, dass die zentralen Herausforderungen, vor denen wir stehen, ohne das Handwerk nicht zu schaffen sind. Die Stärkung des Handwerks muss daher ein zentrales Anliegen der neuen Landesregierung sein – und das auf allen Ebenen.